25.03.2009

Behinderung in der Sprache

Eigentlich erwarte ich nicht, dass dieser Blog von vielen gelesen wird. Freuen würd es mich, wenn es jene tun, die sich wirklich dafür interessieren - nicht weil "man sollte", sondern weil sie beschäftigt, was mich beschäftigt.

Seit gestern beschäftigt mich - wieder einmal - der Zusammenhang zwischen Sprache und Behinderung. Oder vielleicht zwischen Politik und "Newspeak" . Ich war an einer Veranstaltung des Kantons Luzern eingeladen. Besprochen werden sollte das neue "Zentralschweizer Rahmenkonzept zur Behindertenpolitik in den Bereichen Wohnen, Arbeiten und Beschäftigung". Gern würde ich wissen, was ein Linguist aus diesem Titel heraus holt. Der Normalmensch könnte meinen, hier wolle der Kanton sich mit behindertengerechtem Wohnungsbau, Integration in die Arbeitswelt und Freitzeitgestaltung beschäftigen. Tönt doch sehr menschenfreundlich.
Nur Fachpersonen und gewiefte PolitikerInnen verstehen den Titel ganz anders: hierbei handelt es sich nämlich keineswegs um ein "Behindertenkonzept" - schon eher ein "behindertes Konzept" . Genauer geht es um die Frage, in welcher Weise der Kanton Behinderte VERSORGEN soll!

Es geht keineswegs um behindertengerechten Wohnungsbau - sondern um "den Bereich Wohnen" - ein Codebegriff für "Heime". Es geht nicht um die Integration in die Arbeitswelt - sondern um die Finanzierung von "Geschützen Werkstätten" - aussondernde Institutionen wo Menschen durch Arbeit irgendwie - so der gängige Glaube - therapiert werden sollen. Arbeit macht bekanntlich frei. Es ist Zwangsarbeit - ohne echten Arbeitsvertrag, ohne gewerkschaftlichen Schutz, ohne echten Lohn (üblich ist das vom Bundesgericht vorgeschriebene Minimaltaschengeld in der Höhe von 2-3 Fr. in der Stunde).

Auch das Wort "Heim" ist in sich selber schon ein schönfärberischer Code. Tönt schön, heimelig, beruhigt das Gewissen. Aber es ist eben nicht DAHEIM, sondern die Anstalt welche die "anderen" - die unerwünschten, die Abverheiten - von der Gesellschaft, von daheim, fern hält.

Bei der Arbeit am Luzerner "Behindertenkonzept" gestern, gemeinsam mit anderen Menschen mit Behinderung, wird uns einmal mehr schmerzlich klar, wie tief verwurzelt - vielleicht unausrottbar - die Vorurteile gegen uns in den Köpfen sogar der Leute verankert sind, die von Staates wegen beauftragt sind, für uns "zu sorgen". Es sind gedankliche Gefängnisse, die uns ausgrenzen aber gleichzeitig auch diese Leute fest ummauern! Wir sehen und empfinden die Mauern, können dagegen kämpfen mit mehr oder weniger Erfolg. SIE, unsere Versorger, tragen die Mauern in sich und sind oft schlicht nicht in der Lage, die eine Wirklichkeit ausserhalb ihrer gedanklichen Barrieren zu erkennen.

Beispiel die Veranstaltung gestern. Zuerst beschliessen die Innerschweizer Kantone gemeinsam ein Rahmenkonzept. DANN erst, wenn die Grundlinien feststehen, werden die "Behindertenorganisationen" eingeladen das Konzept zu kommentieren: 90% Institutionen die Behinderte versorgen - 10% Selbsthilfeorganisationen. Gehörlose, Blinde, psychisch oder geistig Behinderte sind nicht vertreten. Behinderte gehören halt in den Rollstuhl, gell?
Der Veranstaltungsort draussen in der Pampa - mit Rollstuhl in öffentlichem Verkehrsmittel gar nicht zu erreichen - in einer Militärkaserne! Als Reaktion auf die Einladung schreibe ich "ich komme gern und gehe davon aus, dass Veranstaltung und Örtlichkeiten behindertengerecht sind". Darauf erhalte ich ein erschrecktes Email: "ups, sorry, daran haben wir nicht gedacht. Was muss man unter behindertengerecht verstehen?". In meiner Antwort verweise ich auf das Handbuch "Behindertengerechte Verwaltung" das initiert vom EBGB erst vor wenigen Monaten allen öffentlichen Verwaltungen der Schweiz bekannt gemacht worden ist. Weil dies offensichtlich der Sozialbehörde von Luzern nicht bekannt ist, bemühe ich mich in meinem Email die wichtigsten Regeln für eine behindertengerechte Veranstaltung - für alle Behinderungskategorien - zu beschreiben.

Gestern: Nach 40 Minuten Fahrt durch Schneefall und eisigen Wind total durchnässt komme ich in der besagten Kaserne an. Kein warmes Getränk. Wir werden in Arbeitsgruppen aufgeteilt und stellen fest: drei Arbeitsgruppen sind behindertenfrei. Alle Behinderten in der selben vierten Arbeitsgruppe. Aus "Rücksicht" auf uns, wird uns erklärt: die Seminarräume der drei anderen Gruppen seien eben nur zu Fuss bzw. im Rollstuhl nicht erreichbar.

In der Arbeitsgruppe "dürfen" wir zum Konzept Stellung nehmen in dem wir als Gruppe 3 Punkte - nicht mehr und nicht weniger - herausarbeiten, die unserer Ansicht nach unbedingt ins Konzept gehören. Wir sollen Details verbessern. Dass die "Krüppelarbeitsgruppe" das Konzept als Ganzes in seiner grundlegenden Auslegung kritisiert ist im Ablauf nicht vorgesehen.

Auch in der Diskussion wird klar, wie gefangen wir alle in den Grenzen der Sprache sind. Während wir von Leistungen sprechen - der Finanzierung die uns ermöglicht, die benötigten Dienstleistungen auf einem freien Markt einzukaufen - hören die Veranstalter immer "Angebote" - und meinen Institutionen, die sie organisieren und kontrollieren, um unsere "Bedürfnisse" - gemäss ihren Vorstellungen - zu "versorgen".

Die zahlreichen InstitutionenvertreterInnen sprechen ständig von "Bedürfnisse der Behinderten in den Mittelpunkt stellen" - und meinen damit, dass IHRE Dienstleistungen finanziert werden müssen. Schliesslich haben sie Behinderungen studiert und erachten sich als legitime Vertreter unserer Interessen. Wir denken, sie sind Dienstleister. Wie jeder Bäcker, meinen auch sie, ihre Brötchen wären zweifellos die gesündesten. Leider sind die Klienten behindert und darum wohl zu dumm um das selber zu wissen.
Sie reden von "hohe Qualität sichern" und meinen grosszügige Ausbildungsunterstützung (und entsprechend hohe Löhne!) für sich. Wir meinen, was Qualität sei, müssten doch eigentlich wir, die "Benutzer" definieren - und wissen aus Erfahrung, dass das was wir unter Qualität verstehen mit dem Ausbildungsgrad selten korreliert. Im Gegenteil, oft scheint es, dass die Leute, die "für Arbeit mit Behinderten" ausgebildet sind, eine Sprache, ein Denken lernen, dass sie für unsere Sprache immunisiert. Sie hören uns nicht mehr als Menschen - sondern sehen uns durch die enge Röhre ihrer Fall-Diagnosen.
Sie verlangen "Zusammenarbeit" und meinen mit dem schönen Wort, dass der Kanton freien Markt und damit Konkurrenz unter den Dienstleistern verhindern soll. Zusammenarbeit zwischen dem Finanzierer und dem Dienstleister - dem Klienten darf keine Wahl gelassen werden.

Die Vertreter des Kantons schliesslich reden von "zweckmässig und wirtschaftlich" und meinen: BILLIG solls werden! Wir stellen derweil fest, dass sie vermutlich ein Mehrfaches für die Aussonderung Behinderter bezahlen, als was echte Integration kosten würde.

So, wie dieses Behindertenkonzept jetzt daher kommt - viel schönes Blahblah in der Einführung und kein Zusammenhang zwischen all den schönen Vorsätzen und dem, kleinen konkretisierenden Rest - werden die Innerschweizer Kantone in ihren jahrhundertealten Vorstellungen von Behinderung eingemauert bleiben und die grosse Chance, die sich heute dank NFA auftut, einmal mehr verpassen.
Zu faul um sich wirklich mit moderner Behindertenpolitik oder gar lebendigen Behinderten zu befassen, werden sie den Kartell-Bestrebungen der Behindertenversorgungsindustrie nachgeben - die Behinderten diesem Kartell überlassen. Als vorhersehbares Resultat, werden sie dann bald keine andere Wahl, haben als schlechte Qualität zu überhöhten Preisen einzukaufen. Das ist nämlich, was alle Kartelle unweigerlich produzieren. Das Behindertenversorgungskartell hat die Betroffenen wie Leibeigene in der Hand und wird den Kanton damit jederzeit erpressen können.

Übrigens: das erwähnte Behindertenkonzept ist nur eines von vielen. Alle Kantone sind gemäss IFEG verpflichtet, bis 201o so ein Konzept zu erstellen. Dieses Gesetz wurde auf immensen Druck der Behinderungsindustrie hin ins NFA-Paket aufgenommen. Ein Musterbeispiel von Newspeak. Das Gesetz nennt sich bei vollem Namen "Bundesgesetz über die Institutionen zur Förderung der Eingliederung von invaliden Personen". Nur wer es aufmerksam liest, wird merken, dass es sich um ein Gesetz zur Erhaltung der Institutionen zur Aussonderung Behinderter handelt. Die ZSL-Kritik zu diesem Gesetz (das ursprünglich ISEG heissen sollten) finden sie hier.

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